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   Dr. Kurt Ludewig 

 

 

 

 

VORWORTE /  Forewords / Prólogos

Vorworte zu Monographien (Prologues, Prólogos)

 

 

        Für Aufsätze und Vorträge (Auswahl)

        For Essays and Talks (selection)  Para ensayos y charlas (selección)

 

                                              

 

 

 

Vorworte zu Büchern /Prologues to books /Prólogos de libros

 

pdf 1        2002    Vorwort "Leitmotive systemischer Therapie"  >  Text

 

pdf 2        2005    Vorwort und Inhaltsverzeichnis zu "Einführung in die theoretischen

                            Grundlagen der systemischen Therapie"  >  Text

 

pdf 3        2013    Inhaltsverzeichnis und Vorwort zu

                           "Entwicklungen systemischer Therapie"  >  Text

 

2015    Inhaltsverzeichnis zu "Systemische Therapie" > Text

 

 

TEXTE

 

Das Buch

"Systemische Therapie.

Grundlagen klinischer Theorie und Praxis"

Erschienen 1992, 19974 im KlettCotta Verlag, Stuttgart

ist leider seit dem Herbst 2006 vergriffen    ->   Vgl.

 

 

<1>    Einleitung zum Buch

        "Leitmotive systemischer Therapie"

            Erschienen im KlettCotta Verlag im Herbst 2002

 

            Introduction to the book "Leitmotifs of systemic therapy"

            The German version was published in autumn 2002 by KlettCotta in Stuttgart

 

            Introducción al libro "Leitmotivos de la terapia sistémica"

            La versión alemana fué publicada en el otoño del año 2002 por KlettCotta en Stuttgart

 

 

 

Auf dem Weg zur Selbstverständlichkeit

On the way to normality / En camino a la normalidad

 

Dieses Buch handelt von Entwicklungen in Theorie und Praxis der systemischen Therapie. Weitgehend überarbeitete und aktualisierte Versionen von bisher unveröffentlichten Vorträgen sowie von verstreut in Sammelbändern und Fachzeitschriften erschienenen Texten werden zu einem zusammenhängenden Band über die Grundlagen, Konzepte, Kontexte und Praxis der systemischen Therapie gebündelt. Systemische Therapie wird hier im weitesten Sinne verstanden als Umsetzung systemischen Denkens in die Praxis der professionellen Hilfestellung bei leidvollen Lebensproblemen mit dem Ziel, zu deren Linderung bzw. Beseitigung beizutragen. Wesentliche Motive einer systemischen Therapie sind es, nützlich im Hinblick auf das Ziel, schön im Hinblick auf die Wahl der Interventionen und respektvoll im Hinblick auf die Haltung des Therapeuten zu sein. Was das alles im einzelnen bedeutet, darüber wird es in den nächsten Kapiteln die Rede sein. Davor wird jedoch der Frage nachgegangen, was überhaupt unter "systemisch" zu verstehen ist. Eine genauere Bestimmung dieses Begriffs wird dann als Richtschnur durch das Buch zu leiten. Den Begriff "systemisch" zu präzisieren, ist insofern  vor allem in der Psychotherapieszene  notwendig, als er in zunehmendem Maße mit derart vielfältigen und verschwommenen Bedeutungen versehen wird, daß dessen Verwendung mittlerweile eher verwirrend als erhellend wirkt. Dabei ist eine solche begriffliche Unschärfe keineswegs spezifisch für die systemische Therapie; man trifft sie im allgemeinen im Bereich der Psychotherapie an, nicht zuletzt bei der Abgrenzung solcher Begriffe wie psychoanalytisch gegen tiefenpsychologisch oder verhaltenstherapeutisch gegen phänomenologisch. Ist zum Beispiel eine Psychoanalyse, die sich mit Beziehungskonstellationen und nicht primär mit intrapsychischen Konflikten befaßt, immer noch Psychoanalyse? Und ist eine Verhaltenstherapie, die das Vorkommen von Übertragungs und Gegenübertragungsphänomenen unterstellt und so den Bereich des beobachtbaren Verhaltens eindeutig überschreitet, immer noch Verhaltenstherapie? Die Praxis der Psychotherapie betrifft nunmal menschliches Leiden, und dies ist unausweichlich eng mit den sich wandelnden Formen menschlichen Lebens und menschlicher Lebenszusammenhänge verknüpft. Deshalb ist nicht nur diese Praxis der andauernden Fortentwicklung von kultur und epochenbedingten Auffassungen über den Menschen und dessen Interaktionen unterworfen, sondern auch die begrifflichen Bestimmungen, die dort verwendet werden.

Wieso eine systemische Therapie? Gibt es nicht schon genug Psychotherapieverfahren auf dem Markt? Sollte nicht vielmehr eine vereinfachende Vereinheitlichung angestrebt werden? Ich meine: ja und nein! Ja in dem Sinne, daß die Anzahl vertretbarer Psychotherapien in den Grenzen des Überschaubaren bleiben sollte; nein in dem Sinne, daß Psychotherapie als interaktionelles Geschehen von Vielen nicht auf Weniges reduziert werden sollte. So nachvollziehbar die Sehnsucht von Psychotherapieforschern einerseits ist, die Psychotherapie aus dem Bereich der vielfältigen "Konfessionen" in den einer einheitlichen Profession überzuführen, so kontraproduktiv wäre es andererseits, die Vielfalt der Psychotherapien in zu enge Denkstrukturen einzubinden oder auf eine einzig gültige Form zu reduzieren. Das wäre allein um den Preis möglich, daß die Anzahl jener Variablen, die psychotherapeutische Prozesse konstituieren, artifiziell eingeschränkt würde. Denn aus dem Zusammenspiel dieser Variablen, welche historische, gesellschaftliche, "gender"spezifische, professionelle und persönliche Aspekte beinhalten und so den involvierten interaktionellen Prozessen angemessen sind, entfaltet sich das Besondere an psychotherapeutischen Prozessen. Eine Einheitspsychotherapie würde vor allem die Tatsache verkennen, daß es Menschen sind, die Psychotherapie als soziale Begegnung betreiben und erhalten. Durch Einschränkung der Psychotherapie auf eine Standardform wären alle Psychotherapeuten genötigt, ihre personbedingten und sonstigen individuellen Besonderheiten und so auch jede Eigenart und Kreativität zu unterdrücken. Es sind aber nicht selten gerade diese persönlichen Aspekte eines Psychotherapeuten, die ihn für den jeweiligen Klienten ansprechend und nachvollziehbar machen. Ein Standardtherapeut wäre hingegen nur als fiktive, gewissermaßen „virtuelle" Gestalt realisierbar; die Menge an Menschen, die einen solchen Therapeuten verkörpern könnten, wäre ebenfalls auf nur einen bestimmten Typus von Menschen beschränkt.

Bedenkt man aber, daß ein maßgeblicher Wirkfaktor für den Erfolg einer Psychotherapie ein nach der Diktion der „älteren" Psychotherapieforschung "unspezifischer" Faktor ist, nämlich die interaktionelle Qualität der therapeutischen Beziehung, kann das Anliegen, diese Qualität auszuschalten, wohl von niemand ernsthaft gewollt sein. Die professionelle Psychotherapie lebt von Menschen, die bereit und in der Lage sind, ohne den Bezug zu sich selbst zu verlieren, eine hilfreiche Haltung einzunehmen, Kompetenz auszustrahlen und so Vertrauen zu wecken. Dafür benötigt man ein passendes Konzept, mit dem man sich identifizieren kann. Die Wahrscheinlichkeit dürfte aber ziemlich gering sein, daß das Konzept einer Allgemeinen Psychotherapie so gedacht sein könnte, das es für all diejenigen, die für den Beruf des Psychotherapeuten geeignet sind, passend ist. Um diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, benötigt man Konzepte, die auf Grund ihrer Unterschiedlichkeit in Theorie und Praxis für verschiedene Therapeuten rational nachvollziehbar und überzeugend sowie emotional und sozial realisierbar sind.

Neben den individuellen Aspekten, die für eine Vielfalt psychotherapeutischer Ansätze sprechen, ist auch die theoretische Überlegung zu bedenken, daß Menschen mindestens mit Blick auf drei voneinander unterscheidbare Aspekte betrachtet werden können, nämlich einen intrapsychischen, einen verhaltensmäßigen und einen interaktionellen Aspekt. Dementsprechend haben sich in der Geschichte der Psychotherapie nach und nach drei Hauptströmungen ausdifferenziert, die diesen Aspekten entsprechen, nämlich der psychodynamische, der behaviorale und der systemische Ansatz. Auf dem Hintergrund dieser Differenzierung hat sich die Psychotherapiegeschichte dialektisch entfaltet und unterschiedliche Entwürfe hervorgebracht. Hier war eine Haltung förderlich, die durch Pflege des Eigenen und Wahrung der Grenzen einer verwässerten Difussionen entgegengewirkt hat. Nicht Egalisierung und Anpassung tragen zum Fortschritt einer Disziplin bei, sondern die Unterschiede, die tatsächlich einen Unterschied machen. Daß die Träger dieser Unterschiede in Theorie und Praxis bereit bleiben, einander anzuhören und den eigenen Standpunkt füreinander nachvollziehbar zu vertreten und gegebenenfalls aufzugeben, ist selbstredend. Kurzum, nur eine angemessene Vielfalt kann gewährleisten, daß die Fortentwicklung der Psychotherapie im Fluß eines dynamischen Diskurses bleibt und nicht erstarrt.

Erste Ansätze zu einem systemischen Verständnis von Psychotherapie, die über eine enge Individualisierung von psychischen Beeinträchtigungen hinausgreifen, gehen auf die dreißiger Jahre in Wien zurück. Alfred Adler soll nach seiner Abwendung von der damaligen, triebtheoretisch begründeten und individuumszentrierten Psychoanalyse als erster mit ganzen Familien gearbeitet haben. Es folgten in den fünfziger Jahren die vor allem im angelsächsischen Raum entstandenen Familientherapien. Erst aber seit Beginn der achtziger Jahren kann von einer regelrechten systemischen Therapie gesprochen werden, die nicht nur den Betrachtungsfokus vom Individuum auf die Familie erweiterte, sondern sich auch zunehmend auf der Basis von neueren Erkenntnissen der biologischen Erkenntnistheorie und der Systemwissenschaften begründet hat. Infolgedessen wurden das psychotherapeutische Geschehen und die Probleme, die Anlaß zu einer Therapie geben, als komplexe, sich wandelnde, kommunikative Ereignisse aufgefaßt. Dadurch war es möglich, auf stoffliche Metaphoriken zu verzichten und die psychischen und interaktionellen Phänomene als das zu betrachten, was sie eigentlich sind, nämlich flüchtige Ereignisse in der Zeitdimension. Ein neuer Ansatz war entstanden, der die bis dahin existierende Psychotherapie wesentlich befruchten sollte.

Mittlerweile ist die systemische Therapie ein weltweit etablierter Ansatz mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Das dokumentiert die wachsende Anzahl von wissenschaftlichen Publikationen sowie eine große Anzahl von wissenschaftlichen und professionellen Tagungen. In Europa ist die systemische Therapie in den meisten Ländern als anerkannte Methode zugelassen; sie wird an Universitäten und privaten Instituten gelehrt. Die European Family Therapy Association vereint die nationalen Organisationen für Familientherapie und systemische Therapie von mehr als 23 Ländern zwischen Finnland und Bulgarien. Sie repräsentiert Tausende von Therapeuten. In den angelsächsischen Ländern gehört die systemische Therapie, dort meistens unter der traditionellen Bezeichnung family therapy bekannt, zum selbstverständlichen Angebot im psychotherapeutischen Bereich. In den Ländern des ehemaligen OstBlocks ist ein wachsendes Interesse an der systemischen Therapie zu vermerken, in Lateinamerika gilt sie in manchen Ländern als führende Psychotherapieform. In Deutschland gibt es mittlerweile mehr als 5000 Angehörige der professionellen Helferberufe, die eine nach geltendem Maßstab der nationalen Dachverbände akkreditierungswürdige Weiterbildung in systemischen Therapie absolviert haben. Es gibt im deutschsprachigen Raum mindestens sechs renommierte Fachzeitschriften dazu und es finden regelmäßig Kongresse statt. Die Dachverbände der systemischen und Familientherapeuten  die Systemische Gesellschaft und die Gesellschaft für systemische Therapie und Familientherapie  setzen sich für eine Qualitätskontrolle der meistens in privaten Instituten durchgeführten Weiterbildungen ein. Alles in allem, die systemische Therapie als ein nicht wegzudenkender Bestandteil der weltweiten psychotherapeutischen Versorgung gehört mittlerweile zu den Selbstverständlichkeiten dieses gesellschaftlichen Funktionsbereichs.

In diesem Band geht es im ersten Kapitel um die (meta)theoretischen Grundlagen und um den aktuellen Stand der klinischen Theorie der systemischen Therapie. Im zweiten Kapitel werden zentrale Aspekte im Umkreis der klinischen Theorie systemisch reflektiert und im Vergleich zu früheren Stellungnahmen erweitert. Das in der Psychiatrie in Analogie zu organischen Störungen gewachsene Verständnis von psychischer Krankheit wird aus systemischer Perspektive relativiert und durch eine interaktionelle Sichtweise ergänzt. Im Hinblick auf eine von manchen Psychotherapieforschern geforderte Störungsbezogenheit von Interventionen wird gefolgert, daß der systemische Therapeut zwar im Prinzip ohne ein differentielles Störungswissen auskommt, die Erkenntnisse aus dieser Forschungsperspektive dennoch beachten sollte. Gegenüber einer traditionellen Psychodiagnostik wird dann eine "Überlebensdiagnostik" postuliert, welche die Aufmerksamkeit des Helfers auf die vorhandenen Fähigkeiten und Ressourcen des Klienten lenkt, anstelle der ausschließlichen Fokussierung auf Störungen und Fehlendes. Bezüglich der Ziele der systemischen Therapie wird vorgeschlagen, zwischen dem Anliegen der Klienten und dem gemeinsam mit dem Therapeuten ausgehandelten Auftrag zu unterscheiden und sich daran zu orientieren. Dieses Kapitel schließt mit einem kurzen Abschnitt, der mahnt, die unterschiedlichen Diskurse zur Evaluation von Psychotherapien miteinander nicht zu vermengen.

Das dritte Kapitel befaßt sich mit den kontextuellen Bedingungen einer klinischen Theorie. Es geht zuerst auf die Frage ein, ob systemische Therapie als Ausdruck von Machbarkeit oder Humanismus zu verstehen sei und kommt zu dem Ergebnis, daß auch hier die systemische Maxime gilt, aus einem Entwederoder ein Sowohlalsauch zu gestalten. Danach wird die Frage diskutiert, ob systemisches Denken eine spezielle Ethik begründet, aus der die Werte der systemischen Therapie abgeleitet werden könnten. Die Antwort wird hier nein heißen, zumal systemisches Denken als Denkweise, die auf den jeweiligen Beobachter und dessen Verantwortlichkeit zurückverweist, kein allgemein gültiges moralisches Regelwerk vorzuweisen hat, das den Therapeuten von seiner Verantwortung entlasten könnte. Es folgt dann eine Auseinandersetzung mit der verschiedentlich aufgeworfenen Fragestellung, ob die Einbeziehung von Emotionen in die bislang eher kognitiv anmutende systemische Therapie eine grundsätzliche Anpassung der klinischen Theorie erfordert. Die Antwort wird nein heißen, zumal dieser Therapieansatz seit jeher den Umgang mit Emotionen einbezieht, ohne dies allerdings explizit gemacht zu haben. Die Frage nach dem Selbst wird dann zu einer Frage nach den Selbsten umgedeutet; die Frage nach dem Sinn von Selbsterfahrungen im Rahmen einer Weiterbildung damit beantwortet, daß dies als ein vielfältiges Ritual bei der Kontaktnahme mit der beruflichen Identität als Therapeut durchaus hilfreich sein kann. Der nächste Abschnitt unterscheidet zwischen Lieben und Liebe und zeichnet damit einen Rahmen, der hilft, um die Entstehung von relationalen Selbsten zu verstehen. Der Abschnitt am Schluß dieses Kapitels dient der systemischen Auflösung einer weiteren Polarisierung dieses Feldes, nämlich jener zwischen Expertise und NichtWissen.

Das vierte Kapitel betrifft Fragen der Praxis. Der zunächst vorgenommene Unterschied zwischen Hilfe und Fürsorge dient dem Praktiker, um Auftrag und Intervention aufeinander abgestimmt zu halten und keine unwillkürliche Fehler bei der "logischen Buchhaltung" zu begehen. Dann geht es um einige Besonderheiten in der Therapie mit Kindern und Jugendlichen. Es wird dabei behauptet, daß diese Therapien auf Grund der altersbedingten Situation der Klienten eine größere Komplexität aufweisen als die Therapie mit Erwachsenen. Im nächsten Abschnitt wird auf stationäre Behandlungskonzepte bei zwei wichtigen Problemtypen im Rahmen der Jugendpsychiatrie eingegangen, auf die jugendliche Magersucht und die posttraumatische Störung in Folge von Mißhandlungen. Nach summarischer Befassung mit der Literatur zu diesen Problemen wird jeweils von klinischen Erfahrungen berichtet, und es werden entsprechende Konzepte vorgestellt. Dieses Kapitel schließt mit einer kurzen Einführung in das Familienbrett, ein Verfahren für die Kommunikation über Familien und andere soziale Systeme.

Das Buch endet mit einer allegorischen Darstellung der schwierigen Situation, in der sich Therapeuten angesichts ihrer widersprüchlichen Aufträge befinden. Ihre Aufträge erfordern gleichzeitig die Nüchternheit und Tugendhaftigkeit eines Doktor Faust sowie die Tatkraft und Findigkeit eines Mephisto. In diesem kurzen Abschnitt kommen diese Figuren als zwei Seiten einer Medaille zu Wort. Das Kapitel dient als Zusammenfassung der im Buch vorgelegten Gedanken und weist implizit noch einmal auf die drei wichtigsten Leitmotive des systemischen Therapeuten hin, nämlich im Hinblick auf das Ziel der Therapie nützlich zu sein, im Hinblick auf die zu verwendeten Interventionen nach ästhetischen Gesichtspunkten des "Passens" zu wählen und im Hinblick auf die Gestaltung der therapeutischen Beziehung respektvoll zu handeln

 

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<2>    Inhaltsverzeichnis und Vorwort zum Buch

             Einführung in die theoretischen Grundlagen der

            systemischen Therapie

 

            Index and Foreword to the book

              Introduction to the Theoretical Foundations of Systemic Therapy

 

                Indice y prólogo del libro

                Introducción a las bases teóricas de la terapia sistémica

Heidelberg: CarlAuerSysteme Reihe Compact 2005

ISBN 9783896704665

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Teil 1              Systemisches Denken

 

1.         Was heißt "systemisch"?

            1.1.1    Systemisch denken

            1.1.2    Systemische Praxis

 

2.         Denkvoraussetzungen systemischen Denkens  

            2.1       Biologische Voraussetzungen

            2.1.1    Der Beobachter

            2.1.2    Beobachten

            2.1.3    Erkennen

            2.1.4    Realität

2.1.5    Kommunikative B

            2.2       Soziologische Voraussetzungen

            2.2.1    System

            2.2.2    Kommunikation

            2.2.3    Soziales System

            2.2.4    Interaktionssystem  das Mitgliedskonzept

 

3.         Entwurf eines "Menschenbilds"  das systemische Prinzip

 

4.         Systemisches Denken und Psychotherapie  zur Geschichte ihrer Kopplung

            4.1       Geschichte

            4.2       Differenzierungen

 

Teil 2           Klinische Theorie

 

5.         Grundlagen

            5.1       Elemente

            5.2       Das "Therapeutendilemma"

            5.3       Problem  Anliegen  Auftrag  Vertrag

 

6.         Konzepte

            6.1       Problem

            6.1.1    Differenz krank/gesund

            6.1.2    Problemsystem

            6.1.3    Lebensproblem/Problemsystem

            6.2       Diagnostik

            6.3       Ziele

            6.4       Therapeutische Beziehung

            6.5       Intervention

 

7.          Methodischer Rahmen

            7.1       Kriterien

            7.2       10+1 Leitsätze/Leitfragen

            7.3       Techniken

 

8.         Versorgung

            8.1       Hilfe und Fürsorge

            8.1.1    Grundarten der Hilfe und Fürsorge

            8.2       Wirkprinzipien und Ergebnisse

            8.2.1.   Wirkfaktoren

            8.2.2.   Ergebnisse und Ausblick

 

Literatur

Über den Autor

 

 

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Vorwort

Systemische Therapie versteht sich als eigenständiger Ansatz der Psychotherapie mit eigener Theorie und Praxis. "Systemisch" hat hier nur beiläufig mit dem zu tun, was traditionell unter systemischer Therapie in der Medizin verstanden wird. Dort wird dieser Begriff zur Unterscheidung von fokalen Therapien verwendet. In der Psychotherapie aber deutet "systemisch" auf einen speziellen, in einer bestimmten Denkweise  dem systemischen Denken   verankerten Ansatz hin. "Systemisch" kennzeichnet hier ein in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert erarbeitetes allgemeines Verständnis von Mensch und Welt. Dieses Verständnis hat sich in den unterschiedlichsten Wissenschaften gleichzeitig entwickelt und wird dort jeweils mit Begriffen wie  Systemtheorie, Selbstorganisation, Kybernetik, Autopoiese, Synergetik, Konstruktivismus bezeichnet. Im Unterschied zu analytischen Vorgehensweisen zielt dieses Denken darauf, mit Komplexität möglichst wenig reduktionistisch umzugehen. Systeme, also komplexe Gegenstände, werden zur Grundlage des Beobachtens und Denkens gemacht. Dabei sind Beobachter diejenigen, die Systeme durch Beobachten konstituieren. Beobachter sind daher Ausgangpunkt und Instrument bei der Auseinandersetzung mit den Welten, die sie als Produkt ihres Beobachtens erzeugen.

Die heutige Systemische Therapie gibt es meiner Zeitrechnung nach erst seit Anfang der 1980erJahre. Im Jahr 2005, in dem dieses Buch verfasst wird, ist sie nicht einmal ein Vierteljahrhundert alt. Als wohl jüngste Form der Psychotherapie ist sie gewissermaßen die legitime Tochter ihrer Vorgängerin, der Familientherapie, und sie kann als ihre Weiterentwicklung angesehen werden. Das "Geburtsjahr" der eigentlichen Systemischen Therapie lege ich auf das Jahr 1981. In diesem Jahr begann eine konzeptionelle Entwicklung, die weit über die damals eher verstreuten und zuweilen widersprüchlichen Konzepte der Familientherapie hinausging und der familientherapeutischen Praxis erstmals eine kohärente theoretische Begründung gegeben hat. Man hatte begonnen, neuere Konzepte aus unterschiedlichen Wissensgebieten zu übernehmen, insbesondere  systemwissenschaftliche und konstruktivistische Positionen wie das AutopoieseKonzept und die Kognitionstheorie nach Humberto Maturana, die Kybernetik 2. Ordnung nach Heinz von Foerster, den Radikalen Konstruktivismus nach Ernst von Glasersfeld und die soziale Systemtheorie nach Niklas Luhmann. Dies half nicht nur, den theoretischen Rahmen zu erweitern und zu festigen, sondern darüber hinaus, die Familientherapie von dem allzu engen Korsett des eigenen Settings zu befreien. Durch ihre Einschränkung auf die Arbeit nur mit Familien  hatte sie  sich zu eng eingeschnürt und zugleich jede erweiternde Eigenentwicklung konzeptionell erschwert.  

Durch Bezugnahme auf biologische Konzepte zur menschlichen Autonomie und Selbstorganisation erfuhr der Diskurs über Psychotherapie eine theoretische Erweiterung mit weit reichenden Konsequenzen. Die daraus abgeleitete biologische Epistemologie (Erkenntnistheorie) legte die Bausteine für ein neues Verständnis menschlicher Interaktionen und so auch der Entstehung leidvoller menschlicher Probleme und ihrer Psychotherapie. Der Psychotherapie war es nun möglich, sich von der seit dem 19. Jahrhundert bestehenden zu engen Anlehnung an naturwissenschaftliche und medizinische Konzepte abzulösen. Die mögliche Alternative, sich an die akademische Psychologie des 20. Jahrhunderts anzukoppeln, hatte sich wegen der allzu positivistischen Orientierung dieser Disziplin als wenig sinnvoll erwiesen.

Im "Mutterland" der Familientherapie, den Vereinigten Staaten von Nordamerika, stieß diese neue Entwicklung nur teilweise auf Gegenliebe. Die etablierte Familientherapie bediente sich strukturalistischer Ideen und sollte nicht destabilisiert werden. In Europa hingegen, besonders im nördlichen Europa, stießen diese neuen Gedanken auf starkes Interesse. Sie sollten von da an einen wichtigen Einfluss auf die weitere theoretische und konzeptionelle Entwicklung der systemischen Therapie haben. Außer der Umfokussierung auf biologische Aspekte erfuhr hier die systemische Therapie unter Verwendung der sozialen Systemtheorie nach Niklas Luhmann eine deutliche Verankerung  im Bereich des Sozialen.

Dennoch gibt es bei alledem keine Systemische Therapie, auf die man sich verbindlich beziehen könnte. Es gibt vielmehr eine zunehmende Zahl unterschiedlicher Richtungen, die sich mehr oder weniger stark voneinander unterscheiden und doch im Hinblick auf  übergeordnete  Begründungen ausreichend ähnlich sind.  Diese Gemeinsamkeiten finden sich im Wesentlichen im (meta)theoretischen Überbau, vor allem im Verweis auf konstruktivistische und systemtheoretische Denkvoraussetzungen. Ein Denken unter solchen Voraussetzungen beruht auf einer Pluralität von Sichtweisen und kann daher keine Einheitlichkeit  vorschreiben. Deshalb ist in der systemischen Therapie schon aus theorieimmanenten Gründen unausweichlich, mit Vielfalt zu rechnen. In diesem Sinne geht die Auswahl und Interpretation der in diesem Band behandelten Themen auf mein Verständnis zurück  dafür übernehme ich ausdrücklich die Verantwortung. Dennoch und zur Beruhigung der schon an dieser Stelle eventuell verunsicherten Leserinnen und Leser möchte ich anfügen, dass mein Verständnis von systemischer Therapie durchaus im Einklang steht mit dem state of the art im In und Ausland. Darüber hinaus deckt sich die hier vertretene Auslegung  weitgehend mit dem Positionspapier, mit dem sich der deutsche Dachverband Systemische Gesellschaft eine theoretische Plattform gegeben hat. Etwaige Unterschiede betreffen meistens nur Detailfragen.

Die vorliegende Einführung beansprucht naturgemäß nicht, eine vollständige Übersicht des aktuellen Wissenstands unter Einbeziehung der gesamten, mittlerweile beträchtlich gewachsenen Fachliteratur zu sein. Sie kann nur bei den ersten Schritten in das Thema hinein behilflich sein. Dennoch wird sie bedacht sein, die behandelten Themen nicht durch überzogene Vereinfachungen zu verfälschen.  Diejenigen, die es präziser oder ausführlicher haben wollen, seien zunächst auf das anhängige Literaturverzeichnis verwiesen, welches zu jedem Abschnitt neue, vertiefende und weiterführende Literatur benennt. Sie seien darüber hinaus unter anderem auf mein 1992 erschienenes und nach wie vor aktuelles Buch Systemische Therapie sowie auf meinen 2002 erschienenen, ergänzenden  Band Leitmotive systemischer Therapie verwiesen.

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<3>              Inhaltsverzeichnis und Vorwort zum Buch

             Entwicklungen systemischer Therapie

         Einblicke, Entzerrungen, Ausblicke 

 

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

1          Auf dem Weg zum Systemischen: Prägende Begegnungen

1.1       Die Entdeckung Mailands

1.2       Die epistemologische Revolution

1.3       Kurzzeittherapie und Lösungsorientierung

1.4       Eine märchenhafte Kongressgeschichte

1.5       Reflecting Team und Problemsystem

1.6       Besuch in einem »systemischen Paradies«

 

2          Der Mensch, systemisch betrachtet

2.1       Systemisches Denken

2.1.1    Autopoiese und Kognition

2.1.2    Soziale Systeme

2.1.2.1 Interaktion und Mitglieder

2.1.2.2 Person oder Mitglied – ein Exkurs

2.2       Ein systemisches Menschenbild

2.2.1    Psychische Systeme und Polyphrenie

2.2.2    Relationale Pluralität

2.2.3    Ethische Folgerungen

2.3       Klinische Folgerungen

 

3          Realitäten, Konstruktionen, klinische Theorie

3.1       Begegnung mit einem Guru und die Folgen

3.2       Realität und Konstruktion in der Psychotherapie

3.2.1    Realitäten, Konstruktionen

3.2.2    Realität und Psychotherapie

3.3       Klinische Theorie evaluiert

3.3.1    Individuelle und interaktionelle Probleme

3.3.2    Die Aufgaben des Therapeuten

3.3.3    Das Dilemma der Diagnostik

3.3.4    Die Interventionen

3.3.5    Fazit

3.4       Sinn

3.4.1    Sinnfindung/Sinngebung

3.4.2    Sinnsuche

3.4.3    Sinnkrisen

3.4.4    Professionelle Haltung

3.5       Systemische Ethik?

3.5.1    Ethik und Moral

3.5.2    Ist systemisch an sich ethisch?

 

4          Entzerrungen

4.1       Psychotherapeut, bleib bei deinem Leisten!

4.2       Differenzierungen

4.2.1    Emotion, Kognition, Sprache

4.2.2    Überlebensdiagnostik – eine systemische Option

4.2.3    Biographische und mehrgenerationale Perspektive

4.2.4    Störungsspezifisches Vorgehen

4.3       Das Regelwerk – Vorteile, Nachteile

4.3.1    Zum Regelwerk

4.3.2    Fazit

4.4       Aktueller Stand und Visionen

 

5          Störungen und Lösungen

5.1       Gesund oder krank? – eine erstaunliche Geschichte

5.2       Psychische Störungen

5.2.1    Grundmodelle psychischer »Störungen«

5.2.1.1 Ein systemisches Modell

5.2.1.2 Störungsspezifische systemische Therapie?

5.2.2    Grundelemente systemischer Therapie

5.2.3    Techniken

5.2.4    Fazit

5.3       Leitlinien für die Psychotherapie

5.3.1    Qualitätssicherung im Spagat

5.3.2    Die Qual der Variablenwahl

5.4       Systemische Psychiatrie

5.4.1    Voraussetzungen psychiatrischer Arbeit

5.4.2    Psychiatrische Praxis

5.4.3    Schritte zu einer Erweiterung der Perspektive

 

6          Anwendung

6.1       Das erste Mal

6.2       Elemente

6.2.1    Drei Grundelemente jeder Psychotherapie

6.2.2    Grundelemente der systemischen Therapie

6.2.3    Fazit

6.3       Ressourcen

6.3.1    Ein Fallbeispiel

6.3.2    Für und wider Ressourcenaktivierung

6.4       Hilfreiche Unterscheidungen

6.4.1    Anliegen und Auftrag

6.4.2    Hilfe und Fürsorge

6.4.3    Unliebsame Begriffe

6.4.4    Fazit

6.5       Der Beitrag systemischen Denkens in Kürze

 

7          Settings

7.1       Familienpolitik in Deutschland – ein Exkurs

7.2       Die Praxis mit Mehr-Personen-Systeme

7.2.1    Familientherapie

7.2.2    Systemische Familientherapie

7.2.2.1 Ein Fallbeispiel

7.2.2.2 Fazit

7.2.3    Systemische Paartherapie

7.2.4    Ein Beispiel fließender Übergänge

7.3       Die Praxis mit Individuen

7.3.1    Psychische Systeme

7.3.2    Einheitlichkeit oder Multiplizität?

7.3.3    Polyphrenie

7.3.4    Praktische Relevanz

7.3.5    »Teilearbeit«

7.4       Systemische Einzeltherapie

 

8          Rückblicke, Ausblicke

8.1       Es kann auch anders sein …ein Rückblick

8.2       Brief an die nächste Generation – ein Ausblick

8.3       Zusammenfassung

 

Quellennachweise

Literatur

 

Vorwort

Will man mir folgen, dass die eigentliche systemische Therapie als Nachfolgerin der Familientherapie im Jahr 1981 beim Kongress des Instituts für Ehe und Familie in Zürich »geboren« wurde, ist sie im Jahr 2011 ganze 30 Jahre alt geworden, und ich habe das Glück, sie seitdem begleitet und gefördert zu haben. Aus diesen 30-jährigen Erfahrungen nehme ich mir die Berechtigung, zehn Jahre nach meinem zweiten Buch über systemische Therapie (Ludewig 2002) und zwanzig Jahre nach meinem ersten diesbezüglichen Buch (Ludewig 1992) ein drittes, das vorliegende, wohl als letztes dieser Reihe zu verfassen. Handelte es sich beim ersten Buch um eine erste zusammenfassende Darstellung der systemischen Therapie aus einem Guss und ging es beim zweiten Buch um eine um zehn Jahre reifere Stellungnahme zu den Entwicklungen systemischer Praxis, geht es beim vorliegenden Buch um eine nochmals um weitere zehn Jahre gereiftere Beobachtung und kritische Würdigung dessen, was in den letzten 30 Jahren aus der systemischen Therapie geworden ist. War das erste Buch in einem zu den wissenschaftlichen Gepflogenheiten passenden distanzierten und unpersönlichen Stil verfasst und hatte ich es gewagt, im zweiten Buch ein wenig persönlicher zu werden, soll das vorliegende Buch eine Art Erfahrungsbericht bzw. eine Erzählung sein, also eine Zusammenfassung meiner persönlichen Beobachtungen und Erkenntnisse zur Umsetzung systemischen Denkens in der Psychotherapie und in der Praxis. Hierzu habe ich eine Auswahl der Themen, die ich im letzten Jahrzehnt in Fachzeitschriften, Fachbüchern und Vorträgen behandelt habe, aus heutiger Perspektive gesichtet und zu einem zusammenhängenden Text verarbeitet. Dabei war es nicht ganz zu vermeiden, dass hier und da Textpassagen wiederholt vorkommen; sie alle auszusortieren hätte das Verstehen des entsprechenden Textes erschwert. Bei einigen Kapiteln habe ich inhaltlich dazu Geschichten eingeflochten, die ich seit 2006 regelmäßig für den Adventskalender des »systemagazins« (www.systemagazin.de, vgl. Quellenhinweise) verfasst habe. Sie berichten von Erfahrungen und Begegnungen, die mein professionelles Leben und meine Entscheidung für das Systemische beeinflusst haben; darüber hinaus sollen sie helfen, die theoretischen Inhalte aufzulockern.

Das Buch gliedert sich in acht Kapitel. Nach einer persönlich gehaltenen Einführung über meine Annäherung zum Systemischen folgt im zweiten Kapitel eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Menschenbild aus systemischer Perspektive. Dabei versuche ich, den drei Bereichen, die den Menschen konstituieren – dem biologischen, psychischen und sozialen Bereich –, gerecht zu werden und sie zu einem polysystemischen Ganzen, einem »Menschenbild«, zusammenzuführen. Im dritten Kapitel geht es um wichtige Fragen des metatheoretischen Überbaus: des systemischen Denkens. Nach einer versuchten Klärung des Verhältnisses von Realität und Konstruktion, die oft miteinander vermengt werden, geht es hier in erster Linie um eine Reevaluation der klinischen Theorie einschließlich der Bedeutung von Sinn und Ethik. Das vierte Kapitel befasst sich mit Entwicklungen der systemischen Therapie, vor allem im Zusammenhang mit der Tatsache, dass dieses Verfahren im Dezember 2008 in Deutschland als wissenschaftlich anerkannt wurde. Diese lange ersehnte Anerkennung hat aber wie bei jeder anderen Form der Konsolidierung mindestens zwei widersprüchlich erscheinende Konsequenzen: Sie ermöglicht zum einen die berufliche Etablierung der systemisch orientierten Praktiker innerhalb des legalen Rahmens und bannt dadurch die Gefahr, dass die systemische Praxis in den Abgrund des »unter ferner liefen« abrutscht, sie birgt aber zum anderen die entgegengesetzte Gefahr, als Teil des Mainstreams und so auch im wahrsten Sinne des Wortes des Establishments sich anpasserisch auf dem Erreichten auszuruhen und ihre weiterführende Fortentwicklung zu vernachlässigen.

In den folgenden Kapiteln 5, 6 und 7 geht es um Aspekte der Praxis. Das fünfte Kapitel befasst sich mit der mittlerweile leidigen Frage, inwiefern sich die systemische Therapie einen Störungsbegriff aneignen muss, um im Konzert der Psychotherapien ernst genommen zu werden. In diesem Sinne sind in den letzten Jahren einige Bücher erschienen, die befugt oder unbefugt als die Lehrbücher gehandhabt werden und die sowohl der Systemischen Therapie[1] als Ganzer als auch einzelnen Disziplinen wie Psychiatrie und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie ganze Kataloge von »systemisch«-störungsbezogenen Maßnahmen empfehlen. Das weicht aber grundsätzlich und nachhaltig von der bisher vertretenen Auffassung ab, dass systemisches Arbeiten weder einen Krankheits- noch einen Störungsbegriff benötigt, und hat bekanntlich zu manchen hitzigen Diskussionen im Feld geführt. Ich vertrete in diesem Kapitel nach wie vor die Auffassung, dass systemische Therapie, ohne auf einen Störungsbegriff zurückzugreifen, sinnvoll und hilfreich mit menschlichem Leiden umzugehen vermag. In diesem Kapitel behandele ich auch die Frage nach geeigneten Leitlinien für die Psychotherapie und setze mich mit dem Projekt auseinander, systemisches Arbeiten in der Psychiatrie zu etablieren.

Das sechste Kapitel behandelt zum einen wichtige konzeptuelle Aspekte der Praxis und zum anderen die Arbeit mit Mehr-Personen-Systemen und Individuen. Der erste Teil befasst sich mit den Grundelementen jeder Psychotherapie sowie mit dem Ressourcenkonzept und hilfreichen Unterscheidungen für die Praxis wie jener von Anliegen und Auftrag, Hilfe und Fürsorge. Darüber hinaus diskutiere ich einige im systemischen Kontext bisher wenig beachtete Konzepte wie Macht, Manipulation, Gewalt und Kontrolle.

 Kapitel 7 behandelt die verschiedenen Settings, in denen systemisches Arbeiten Anwendung findet. Dabei geht es zunächst um eine kritische Stellungnahme zur aktuellen Familienpolitik in Deutschland. Im Weiteren geht dieses Kapitel auf die Familientherapie im Allgemeinen und auf die systemische Familientherapie im Besonderen sowie auf die Paartherapie und abschließend auf die systemische Arbeit mit Individuen ein.

Das Buch endet im Kapitel 8 mit einem Rückblick auf Vergangenes und einen Ausblick auf Künftiges. Der Rückblick enthält Fragmente aus einem von Günter Reich mit mir geführten Interview, der Ausblick besteht aus Ausschnitten aus einem im Jahr 2010 verfassten Brief an die nächste Generation systemischer Therapeuten[2].

 


[1] Martin Rufer (2012, S. 45 f.) schlägt vor, zwischen systemischer und Systemischer Therapie zu unterscheiden, wobei erstere – mit »s« – die Umsetzung systemischen Denkens in die Praxis und die zweitere – mit »S«  – die bereits anerkannte und etablierte Therapieform meint.

[2] Die in diesem Buch zur erleichterten Lektüre verwendete männliche Form schließt selbstverständlich auch die weibliche Form mit ein.

 

<4>              Inhaltsverzeichnis und Vorwort zum Buch

Systemische Therapie. Grundlagen, klinische Theorie und Praxis

 

Inhalt

 

Vorwort

Danksagung

Geleitworte zur ersten Auflage

 

I             URSPRÜNGE

 

1.            1            Heilen im Kontext

1.1         1.1        Der kulturelle Rahmen

1.            1.1.1    Koevolution von Leiden und Heilen

1.            1.1.2    Komplementäre Rollen

1.1          1.1.3    Die »Logik des Leidens«

1.2         Der geistige Rahmen

1.2.1      Leitdifferenz Sein/Werden

1.2.2      Leitdifferenz Autonomie/Heteronomie

1.3         Eine alte Kontroverse: Die Lehren von Knidos und Kos

1.4         Orientierungen des Heilens

 

2.            2            Heilen durch das Wort

2.1         Driftende Psychologien

2.1.1      Ein flüchtiger Gegenstand

2.1.2      Analytisches und ganzheitliches Denken

2.1.3      Ordnende Integration

2.1.4      Innen und Außen

2.1.5      Hinwendung zur Person

2.1.6      Über die Person hinaus

2.1.7      Rückwendung auf den Beobachter

2.2         Psychotherapie im Wandel

2.2.1      Übertragung und Gegenübertragung

2.2.2      Mut zum Handeln

2.2.3      Respekt als Grundhaltung

2.2.4      Zirkularität und Homöostase

 

II           SYSTEMISCHES DENKEN

 

3.            2            Biologische Grundlagen

3.1         Was heißt »systemisch«?

3.2         Biologie und Erkenntnis

3.2.1      Erkennen: ein biologisches Phänomen

3.2.2      Kognition: Hervorbringen einer Einheit

3.3         Die Organisation des Lebendigen: die Autopoiese

3.4         Das Humane

3.4.1      Grundlagen menschlicher Konsensualität

3.4.2      Erklären: (Objektivität) in Klammern

3.5         Menschenbild und Ethik

3.5.1      Akzeptanz und Respekt

3.5.2      »Logische Buchhaltung«

3.5.3      Vernachlässigte Kontexte

3.6         Kritik am systemischen Denken

 

4.            4            Sozialwissenschaftliche Voraussetzungen:

               Soziale und psychische Systeme

4.1         Soziologische Voraussetzungen: Umgang mit Komplexität

4.1.1      Der Systembegriff

4.1.2      Komponenten und Relationen

4.1.3      Komplexitätsreduktion

4.1.4      Systemgrenze

4.1.5      Systemdefinition

4.2         Die Theorie sozialer Systeme

4.2.1      Biologie oder Soziologie?

4.2.2      Sinn und soziale Komplexitätsreduktion

4.2.3      Doppelte Kontingenz

4.3         Kommunikationstheorie

4.3.1      Dreistellige Selektion

4.3.2      Kommunikationsprozess

4.3.3      Sinngrenze

4.4         Sozialisation im Vergleich

4.5         Psychische Systeme

4.5.1      Multiplizität

4.5.2      Polyphrenie

4.5.3      Definition

 

III          KLINISCHE THEORIE

 

5.            5            Theoretische Voraussetzungen

5.1         Was heißt »klinische Theorie«?

5.1.2      Soziale Systeme und Therapie

5.1.3      Die »Wenden«

5.2         Das Mitglied-Konzept

5.2.1      Mensch/Mitglied/Rolle

5.2.2      Ein systemisches Konzept

5.2.3      Das Interaktionssystem

5.3         Der Gegenstand klinischer Theorie

5.3.1      Individuelle und interaktionelle Probleme

5.4         Klinische Systeme

5.4.1      Hilfssysteme

5.4.2      Therapiesysteme

5.5         Systemische Therapie: Definition

 

6.            6            Klinische Praxis

6.1         Der methodologische Rahmen

6.1.1      Nutzen, Schönheit, Respekt

6.1.2      Leitsätze

6.1.3      Irreführende Polarisierungen

6.2         Die Praxis der Therapie

6.2.1      Anliegen und Auftrag

6.2.2      Der therapeutische Dialog

6.2.3      Interventionen

6.3         Settings: von Systemen und Personen

6.3.1      Familien

6.3.2      Paare

6.3.3      Stationäre Behandlung

6.3.4      Einzeltherapie

6.3.5      Spezielle Therapien

6.4         Praxisanleitende Kontexte: Ausbildung, Selbstreflexion, Supervision

6.4.1      Ausbildung

6.4.2      Selbstreflexion

6.4.3      Supervision

 

7.            7            Klinische Konstellationen

7.1         Kindliche Unruhe

7.1.1      Das Syndrom Hyperaktivität

7.1.2      Behandlungsansätze

7.1.3      Zwei zum Nachdenken anregende Fallbeispiele

7.1.4      Ein systemisches Konzept

7.1.5      Hilfestellung

7.2         Jugendliche Magersucht

7.2.1      Lieben und Liebe - eine anleitende Unterscheidung

7.2.2      Die Familien

7.2.3      Ein alternativer systemischer Ansatz

7.2.4      Ein Fallbeispiel aus stationärer Behandlung

7.2.5      Katamnesestudie

7.3         Psychotische Krise

7.3.1      Überblick

7.3.2      Auf dem Weg zur Schizophrenie

7.3.3      Die Krise

7.3.4      Ein therapeutisches Konzept

 

8.            8            Evaluation

8.1         Evaluation in der Psychotherapie

8.1.1      Der Sog der Tradition

8.1.2      Evaluation in der Familientherapie

8.2         Klinische Positionsbestimmung

8.2.1      Evaluation und logische Buchhaltung

8.2.2      Diskurstypen

8.3         Systemische Ansätze

8.3.1      Erste Ergebnisse

8.3.2      Eigene Studien

 

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Das vorliegende Buch wurde ursprünglich zu Beginn der 1990er Jahre verfasst, im Jahr 1992 veröffentlicht und im Jahr 1997 in 4. Auflage zuletzt gedruckt (vgl. Ludewig 1992). Seit einigen Jahren ist es vergriffen. Als eines der ersten seiner Art fasste es den State of the Art der systemischen Therapie zu einem Zeitpunkt zusammen, als zu diesem Psychotherapieverfahren zwar ein ansehnlicher Korpus von Konzepten und Modellen erarbeitet worden war, ein umfassendes Grundlagenwerk darüber aber noch fehlte. Die damals vorhandenen Texte hatten sich zumeist darauf beschränkt, spezifische Aspekte zu thematisieren. Deshalb lag es nahe, die in früheren Publikationen in Einzelteilen dargelegte klinische Theorie umgreifend in einem Buch zu thematisieren. Zu der Zeit hatte das Interesse an Aus- und Weiterbildungen in systemischer Therapie und Beratung stark zugenommen. Dementsprechend war der Bedarf an einem umfassenden Grundlagenwerk entstanden, das nicht nur wissenschaftlich, sondern auch professionell ausgerichtet für Ausbildungszwecke verwendet werden könnte. Die Resonanz war dementsprechend; die erste Auflage war im ersten Jahr der Veröffentlichung bereits vergriffen.

Die vorliegende, vollständig überarbeitete und aktualisierte Neuauflage strebt zwei Ziele an. Sie bietet den praktizierenden systemischen Therapeuten und anderen Interessierten einen nach wie vor aktuellen Zugang zu den theoretischen Grundlagen, auf denen die systemische Therapie aufbaut. Dazu gehören insbesondere die biologischen und erkenntnistheoretischen Voraussetzungen des zeitgenössischen Konstruktivismus und die sozialtheoretischen Positionen der soziologischen Systemtheorie sowie ein systemisches Verständnis der psychischen Systeme. Die Neuauflage soll aber auch angehenden wie eingeweihten systemischen Therapeuten ermöglichen, einen direkten Einblick in die Entstehungsgeschichte ihres Fachs zu bekommen. Um den historischen Aspekt zu betonen, wurde ein Großteil der bei der ersten Veröffentlichung berücksichtigten Literatur beibehalten und nur insoweit durch neuere ergänzt, wie dies hinsichtlich einer angemessenen Aktualisierung notwendig erschien, ohne den ursprünglichen Charakter des Werkes zu entstellen.

Allgemein lässt sich feststellen, dass der Diskurs der systemischen Therapie bereits zu Beginn der 1990er-Jahre den Stand erreicht hatte, der heute noch weitgehend gültig ist. Die später eingebrachten, neueren Beiträge zum metatheoretischen Überbau sind nicht nur mit den Grundprämissen systemischen Denkens, wie sie in diesem Buch erörtert werden, vereinbar, sondern sie konsolidieren und ergänzen sie. Unter diesen Erneuerungen erscheint mir neben anderen erwähnenswert: der narrative Ansatz und die Position des Sozialen Konstruktionismus sowie die intensivere Betonung der therapeutischen Beziehung, insbesondere der zugrundeliegenden emotionalen Prozesse (affektive Kommunikation).

In der Forschung verzeichnet unterdessen die systemische Therapie eine beträchtliche Zahl an wissenschaftlichen Forschungsergebnissen, die sie empirisch untermauern und die zum Beispiel in Deutschland zu ihrer Anerkennung als wissenschaftliches Verfahren geführt haben. Nach allmählicher Überwindung der in der systemischen Bewegung der Achtzigerjahre entstandenen Skepsis gegen die empirische Forschung hat eine erfreuliche Rückbesinnung darauf stattgefunden. Diese neue Entwicklung bedeutet zwar eine heilsame Überwindung von ideologischen, selbst auferlegten Hindernissen, sie ist aber nach wie vor unvollständig, denn die Entwicklung einer regelrechten systemisch orientierten Forschungsmethodik befindet sich nach wie vor im Werden. Die Übernahme einer konstruktivistischen Erkenntnistheorie als Grundlage systemischen Denkens hatte eine radikale Abkehr von Konzepten der Kausalität und den entsprechenden Methodologien zur Folge. Die Radikalität der Anfangszeit ist aber nach und nach von einer gemäßigteren und souveräneren Einstellung abgelöst worden, die nicht nur den internen Diskurs erleichtert, sondern auch die Basis schafft für eine positivere und respektvollere Einschätzung der systemischen Therapie in der Gemeinschaft der Psychotherapeuten. Bedenkenswert bleibt jedoch nach wie vor der Umstand, dass eine allzu enge Anpassung an den Mainstream in Theorie und Forschung einen zunehmenden Verlust an Eigenheit zur Folge haben kann. Die Chance, die mit der Übernahme systemisch-konstruktivistischen Denkens als metatheoretischer Rahmen für ein neuartiges Verständnis von menschlichem Miteinander und so auch für Psychotherapie entstanden war, wäre dadurch leicht verspielt. So wichtig diese empirische Thematik ist, sie wird in der vorliegenden Neuauflage nicht detailliert behandelt; sie soll der mittlerweile vielfältig vorhandenen speziellen Literatur überlassen werden. An den passenden Stellen werden entsprechende neuere Literaturhinweise eingefügt.

Die zum Beispiel in letzter Zeit zunehmend vernehmbare Ausrichtung der klinischen Praxis an wie auch immer definierten »Störungskonzepten« bzw. an davon abgeleiteten »störungsspezifischen Interventionen« birgt bei allem Streben nach wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Anerkennung die Gefahr, unbemerkt im Bereich ontologisch und kausal erdachter Kategorien zu landen und so die durch systemisch-konstruktivistisches Denken neu gewonnenen Handlungsmöglichkeiten leichtfertig zu verspielen.

Im Hinblick auf die Praxis haben die Weiterentwicklungen der systemischen Therapie in den letzten Jahren im Wesentlichen dazu beigetragen, die in den Achtzigerjahren eingeführten Ansätze zu verbessern und zu konsolidieren. Ein wichtiger Aspekt dabei betrifft die Einbeziehung von technischen Elementen aus anderen Psychotherapie-verfahren. Im Einklang mit der Forderung von Psychotherapieforschern, die Psychotherapie von einer »Konfession« zu einer »Profession« umzugestalten, ist auch bei systemischen Therapeuten eine zunehmende Öffnung gegenüber den anders orientierten Therapeuten zu vernehmen. Techniken und Methoden, die in anderen Schulen entstanden sind, sind integriert worden, darunter zum Beispiel die Berücksichtigung der Emotionen und des Übertragungskonzepts aus den individuumszentrierten Therapien, die Einbeziehung von konfrontativen und desensitisierenden Ansätzen aus den Verhaltenstherapien, die respektvolle Haltung gegenüber den Personen aus den Humanistischen Therapien. Dies gilt ebenfalls für Techniken aus der hypnotherapeutischen Richtung und den Einsatz von inszenierenden Aktualisierungen familiärer und traumatischer Erlebnisse aus dem Psychodrama und den Gestalttherapien. Gleiches gilt in umgekehrter Richtung. So hat sich zum Beispiel die aktuelle Verhaltenstherapie einige in der systemischen Therapie entstandene Denk- und Handlungsweisen angeeignet.

Alles in allem lässt sich aus den Beiträgen der letzten zwanzig Jahre feststellen, dass die Fortentwicklung der systemischen Therapie, getreu ihrem Selbstverständnis auf den Konzepten systemischen Denkens aufbauend, im Fluss bleibt und dabei den zu Beginn der Neunzigerjahre erreichten Entwicklungsstand in Theorie und Praxis erweitert hat, ohne wesentlich von ihren Fundamenten abzurücken. In diesem Sinne fühle ich mich berechtigt zu konstatieren, dass das vorliegende Buch, zwei Jahrzehnte nach dem ersten Erscheinen, nach wie vor im Wesentlichen den State of the Art der systemischen Therapie wiedergibt und seinen Charakter als Grundlagentext nicht eingebüßt hat.

Das Buch gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil – Ursprünge – führt zunächst skizzenhaft in die altertümliche Geschichte des Denkens über das menschliche Heilen ein und verortet dann im Anschluss die jüngste Entwicklung der Psychotherapie – die systemische Therapie – in die Geschichte der psychotherapeutischen Ansätze. Der zweite Teil – systemisches Denken – fasst die wesentlichen Denkvoraussetzungen zusammen, auf denen das sogenannte systemische Denken beruht, und zwar aus biologisch-kognitiver, sozialtheoretischer und neuerdings auch systemisch-psychologischer Perspektive. Aus biologischer Perspektive wird vor allem der Beitrag des Neurobiologen Humberto Maturana zur Autopoiese und Erkenntnistheorie in den für die Psychotherapie relevanten Aspekten zusammengefasst. Aus sozialtheoretischer Perspektive werden die relevanten Aspekte der Kommunikationstheorie und der Theorie sozialer Systeme nach Niklas Luhmann dargestellt. Die lange Zeit vernachlässigte Auseinandersetzung mit den psychischen Systemen ist in dieser Neuauflage hinzugekommen. Der dritte Teil – klinische Theorie – befasst sich zunächst mit den am therapeutischen und beraterischen Geschehen beteiligten Systemen und mündet in die Formulierung einer klinischen Theorie, das heißt, einer Theorie der Praxis aus systemischer Sicht. Im Anschluss daran wird unter Verwendung von drei klinischen Konstellationen – kindliche Unruhe, jugendliche Magersucht und psychotische Krise – illustriert, wie diese klinische Theorie in die tatsächliche Praxis umgesetzt werden kann. Der dritte Teil endet mit einer summarischen Darstellung der Ergebnisse, aber auch der Probleme, die sich im Hinblick auf eine empirische Evaluation der Psychotherapie insgesamt und des systemischen Ansatzes insbesondere ergeben.

 

 

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